Als Menschen reagieren wir höchst unterschiedlich auf Reize, die unsere Sinnesorgane erreichen. Was für den einen ein Horrorreiz ist, lässt den anderen tanzen – wie etwa laute Musik.
Nicht der objektive Reiz an sich ist der Stressor, sondern die Art, wie wir den Reiz subjektiv bewerten.
Diese subjektive Bewertung findet in zwei Phasen statt.
Die erste Bewertung folgt blitzschnell auf den Reiz. Sie findet im Gehirn, im sogenannten limbischen System statt. Hören wir zum Beispiel unerwartet einen lauten Knall, so erschrecken wir in aller Regel, da unser limbisches System das Geräusch als einen Bedrohungsreiz identifiziert („Ich könnte verletzt werden“). Als Folge schüttet die Nebenniere die Stresshormone Adrenalin und Cortisol aus. Diese Botenstoffe sorgen dafür, dass unser Organismus seine Abwehrkräfte hochfährt und im Sekundenbruchteil auf eine potenzielle Bedrohung reagieren kann. So wird bspw. eine intensivierte Muskeltätigkeit aktiviert, die uns Flucht oder Angriff ermöglicht. Auch weitere Reaktionen finden in unserem Körper statt, Reaktionen, die wir wahrnehmen können: Der Atem verändert sich, das Herz pocht, Hitze steigt auf, Knie zittern, das Handeln wird impulsiv, das klare Denken wird erschwert…
Die zweite Bewertung kann nun unachtsam oder achtsam ablaufen.
Läuft die zweite Bewertung unachtsam ab, so folgt eine reflexartige Reaktion auf den Stressor.
Diese reflexartige Reaktion, dieser „Flucht-oder-Angriff Mechanismus“, ist menschheitsgeschichtlich sehr alt. Der Mechanismus diente ursprünglich dazu, unseren Vor-Vorfahren das Überleben zu sichern, wenn diese sich körperlichen Angriffen von Mensch oder Tier ausgesetzt sahen. Aber auch heute noch ist dieser Mechanismus fest verankert in unserem Organismus.
Dies zeigt sich zum Beispiel darin, dass jemand bei einer Kritik an ihm „aus der Haut fährt“ und das Gegenüber verbal attackiert. Oder sich der Kritik entzieht, indem er verstummt oder aus dem Raum stürmt. Auf lange Sicht führen solche reflexartigen Reiz-Reaktion-Mechanismen oftmals dazu, dass wir in Gesprächen sofort auf Reizwörter anspringen, der eine dann als „aggressiver Typ“ gilt, der andere als „konfliktscheu“.
Läuft die zweite Bewertung achtsam ab, so werden wir uns unseres momentanen Selbst gewahr. Wir nehmen achtsam wahr, was in der Situation und in unserem Körper vor sich geht, wenn uns ein Stress-Reiz erreicht.
Diesen Moment des Gewahr Werdens und des Innehaltens zu erfahren, ist nicht immer einfach, aber durchaus erlernbar. Durch die Übungen der Achtsamkeit lernen wir immer besser, das was ist, einfach wahrzunehmen, ohne es sogleich emotional oder voreingenommen bewerten zu müssen.
Hören wir eine harsche Kritik an uns, so realisieren wir den sprichwörtlichen Schlag in die Magengrube nunmehr neutral als die Reaktion unseres vegetativen Nervensystems. Wir erkennen den Stress als bloße Aktivierung unseres Organismus´, ausgelöst durch die Stresshormone, die unsere Nebennierenrinde ausschüttet. Statt wütend oder ängstlich vermeidend auf unseren Gesprächspartner zu reagieren, können wir einige wertvolle Momente innehalten, im Wissen: „Auf meinen Körper ist Verlass, er bietet mir Schutz“. Durch die achtsame Körperwahrnehmung gewinnen wir zunächst ein wichtiges Gut: Zeit. Zeit, um eine Sekunde bei sich zu sein. Um einmal durchzuatmen. Und selbst schon ein Atemzug lässt den Stresshormonpegel in unserem Körper sinken. Dieser achtsame Raum zwischen Reiz und Reaktion eröffnet uns die Möglichkeit, weniger aufgeregt in die Gegenwart zu blicken und die Situation aufmerksam einschätzen zu können: Was haben wir denn gehört? Haben wir richtig verstanden? Besser noch mal nachfragen? Wir haben Zeit gewonnen, um uns, die Situation und unser Gegenüber besser einzuschätzen. Wir sind kein Reaktionsbündel, wir treten achtsam und abwägend in Aktion.